Foto: Boris Đurović
Aus dem Montenegrinischen von
Elvira Veselinović
Sechs Fingerbreit, sagte er, während er sich die vom Sekret ganz glänzenden Fingerknöchel abwischte. Es lag etwas zutiefst Beunruhigendes darin: Vielleicht hatte er, bevor er zu mir kam, in der Nase gebohrt, oder im schlimmsten Fall – ich hasste mich für diesen Gedanken – eine andere Gebärende mit einem entspannteren Verhältnis zur Hygiene genau so untersucht wie mich. Auf dem Weg hierher hatte er mindestens drei Türen berühren müssen, mit der Hand oder dem Ellbogen, was unter diesen Umständen nicht möglich war, und auch nicht wahrscheinlich, da er beim letzten Mal auf dem Weg aus dem Kreißsaal auch direkt an die Türklinke gepackt hatte. Beim Händeschütteln hatte ich ihn bisher nur einmal beobachtet, mit einem frischgebackenen Vater, was wir daraus schlossen, dass er mit einer Flasche Erstlingsbrand zur Visite gekommen war. Bei der Gelegenheit kratzte er, nachdem er seinen Daumen leidenschaftlich angeleckt hatte, auf der Oberfläche einer Nierenschale herum, um die verkrusteten Blutspuren zu beseitigen. Was er auch schaffte: das Blut war jetzt unter seinem Fingernagel.
Als ich nach langem Zögern versuchte, ihn darauf anzusprechen, er solle sich doch, also wenn er es mir nicht übelnähme, aber wenn er könne, solle er … sich die Hände mal eben waschen, schaute er mich an, als hätte ich ihm mitgeteilt, er persönlich sei der Kindsvater. Dann sagte er:
»Wer ist denn hier der Arzt, ich oder du?«
Sei es vor Angst oder vor Überraschung, jedenfalls bekam ich den Mund nicht mehr auf.
Die Versorgung war katastrophal. Nadeln, Spritzen, Wundbenzin, Desinfektionsmittel und schließlich sterile Handschuhe, die wir auf eigene Kosten aus der Apotheke holen ließen – es fehlte einfach an allem. Ich wünschte, all meine Freundinnen, die gerade freiwillig diese ganze Serie teurer und überaus gefährlicher Behandlungen der künstlichen Befruchtung über sich ergehen ließen, könnten jetzt hier sein, Freundinnen, denen niemand – schon gar nicht die Männer, mit denen sie in letzter Zeit wie einer Dienstpflicht folgend Verkehr, ja, das ist dieses Wort, Geschlechtsverkehr hatten – gesagt hat, was sie erwartete, wenn sie dieses kleine Knäuel des Lebens endlich unter viel Blutvergießen zur Welt brachten. Und sowieso: In den Märchen, mit denen wir gefüttert werden, fällt das Baby so leicht heraus wie aus einer Mayonnaise-Flasche, die sich bis dahin auf ihren eigenen Deckel stützte, wie ein kleiner Kiriku, der sofort geboren wird, nachdem er Mutter, bring mich zur Welt gesagt hat.
Vom diensthabenden Frauenarzt fehlte eine ganze Stunde lang jede Spur, doch dann tauchte er auf, mit wehendem Arztkittel, als wolle er jeden Moment losfliegen, mit vier, nein, fünf jungen Assistenzärzten. Aus liegender Perspektive wirkten sie wichtig, wie eine internationale Delegation, in deren Beisein man besser nichts Falsches sagte, doch als ich mich aufgerichtet hatte, war es merklich anders. Sie rochen nach Alkohol. Sie unterhielten sich leise, in scherzhaftem Ton, in einer Sprache, die ich nicht verstand, einer männlichen Sprache, der Sprache des Stärkeren, dann in Fachsprache: Expulsion, Episiotomie, Hämostase, CTG. Einer von ihnen konnte sich nicht zurückhalten und erzählte den Witz vom Montenegriner, der bei der Geburt erfährt, dass der Kindsvater nicht er selbst, sondern der Postbote ist.
Und es ging weiter, wie in einem Bühnenstück:
»Wussten Sie, dass jeder dritte Mann,
der ein Kind großzieht, nicht der biologische Vater ist?«
Sie kamen näher an mein Bett, und der Geruch von etwas Hochprozentigem – ich würde sagen, Tequila – wurde noch intensiver. Der diensthabende Gynäkologe kam am nächsten heran und zog mit der Hand meine Knie auseinander, die fast schon instinktiv in ihre Ursprungsposition zurückkehrten. Je mehr ich darüber nachdenke, erinnerte die ganze Situation, einschließlich dieser Gestalt über mir, unweigerlich an eine Szene, der ich während meines Heranwachsens auf dem Land beigewohnt hatte: es war die sehnige Hand des Tierarztes, die bis zu den Schultern in den Eingeweiden der Kuh verschwand. Das verzweifelte Tier, das nicht wusste, wie ihm geschah, schaukelte mit dem Kopf auf und ab und versuchte, die Schlinge um seinen eigenen Kopf enger zu ziehen.
»Acht Fingerbreit. Probieren Sie mal, Kollege«, wandte er sich an den Assistenzarzt neben sich, wobei er ihm, wohl weil er dachte, ich würde das nicht bemerken, vertraulich zuzwinkerte.
Wie in einem Traum, in dem man angesichts der unmittelbaren Gefahr nicht von der Stelle kam (geschweige denn, dass man hätte rennen können), in dem die Stimmbänder aneinander klebten und nicht riefen, sondern jaulten, hatte ich nicht den Mut, aufzubegehren, denn was, wenn sie mich zum gegebenen Zeitpunkt verbluten ließen? Eine Wehe.
Ein junger Mann, den ich in dem Moment zum ersten Mal sah, schob seine Faust in meine Vaginalöffnung, als hätte er dort eine wertvolle Münze verloren, die er sich um jeden Preis wiederholen wollte. Übergriffig, beliebig, gewaltsam, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass genau in dem Augenblick – obwohl er sich, sollte ihn jemand anklagen, nach Kräften bemühen würde, das zu leugnen – an mir eine Vergewaltigung ausgeübt worden war.
»Na, sehen Sie doch, es war gar nicht schlimm«, beschloss der Diensthabende und gab ihm ein Zeichen, weiterzugehen.
Gegen Abend wurden die Schmerzen unerträglich. Eine Wehe, eine Wehe, noch eine Wehe. Irgendwie hielt ich meinen Bauch mit den Händen fest, als würde er gleich herausfallen, und schleppte mich in das Zimmer, in dem die Schwestern saßen, alle vier. Ich öffnete die Tür, woraufhin mich mit meinem teuflisch roten Gesicht dichter Tabakrauch und ihre desinteressierten Blicke begrüßten, die mir unzweideutig klar machten, dass sie in Ruhe gelassen werden wollten. Diejenige, die mir am nächsten saß, schlug mir mit ihrem ausgestreckten Bein die Tür vor der Nase zu.
Leidensfähigkeit wird unterschätzt. Besonders meine. Vor allem, wenn ich pflichtbewusst auf den Fliesen hocke und darauf warte, dass mir jemand einen Schlauch mit einem Applikator reicht, von dem ich ehrlich gesagt gar nicht weiß, wie man ihn benutzt. Wenn ich einen Ehemann hätte, würde er so tun, als wüsste er das, oder wir würden am Ende verängstigt und dumm gemeinsam das Verfahren, das System, das Krankenhaus verabscheuen, dessen Organisation die Qualität des werdenden Lebens am getreuesten widerspiegelt. Nie wieder – würde ich drohen. Wenn ich einen Ehemann hätte, würde er mir ein Handtuch reichen, meine Hand halten oder, auf meine Überredung hin, den Assistenzarzt verprügeln, weil er ohne zu fragen seine Hand in mein Fleisch gesteckt hat. Da ich keinen Mann habe, muss ich Fragen ertragen, warum ich keinen habe, und auch die Tatsache, dass ich ohnmächtig wurde, sobald der Fäkalienschlauch in meinen Anus rutschte.
Aus der Bewusstlosigkeit weckte mich ein stechender, pulsierender Schmerz, der sich statt in der Gebärmutter im Rektum konzentrierte. Es handelte sich sozusagen um zwei getrennte Schmerzen, derer ich mir zu jedem Zeitpunkt vollkommen bewusst war und die ich aufgrund der neu entstandenen Umstände nicht wie üblich in gefährlich und harmlos einteilen konnte. Noch genauer formuliert setzten sich die beiden Krankenschwestern abwechselnd auf meinem Bauch und versuchten offensichtlich, das Neugeborene herauszuquetschen, das wohl nach den Gesetzen der Physik, so es überhaupt noch am Leben war, wie eine Kugel herausschnellen und gegen die Wand prallen würde. Die Art und Weise, wie sie sich auf mich warfen, ähnelte am ehesten der von Grundschülern, wenn sie ihre Caprisonne ausgetrunken hatten: Nachdem sie die Tüte aufgeblasen hatten, traten sie mit ihrem ganzen Gewicht darauf, woraufhin so etwas wie ein Schuss zu hören war.
»Was machen Sie denn da?« gelang es mir zwischen zwei Schmerzwellen zu fragen.
»Geburtsbeschleunigung. Du hast dich selbst durchbohrt mit diesem Schlauch, und unser Koloskop funktioniert nicht, weshalb wir nicht wissen, wie schlimm es ist«, teilte mir die eine mit, während sie sich bereit machte, wieder auf mich drauf zu springen.
Vom diensthabenden Arzt fehlte nach wie vor jede Spur. Zu den zwei Schwestern stieß schon bald eine dritte, die mich, sobald sie da war, fest am linken Oberarm packte und dann die andere anschaute, die dasselbe tat, nur rechts. Dies war eine vage Andeutung dessen, was folgen sollte – die dritte, die ich nicht gut sehen konnte, da mein Bauch im Weg war, machte mit der Schere einen ein paar Zentimeter langen Schnitt vom Scheideneingang bis zum Rektum. Wegen dieses Schnittes würde ich in den nächsten Monaten mein großes Geschäft mit der lähmenden Angst erledigen, die Wunde könnte reißen, dieselbe Wunde, die sie nach der Entbindung weiter zugenäht hatten, als nötig war. The husband stitch, für den Mann, den ich nicht hatte.
»Es tut weh«, jammerte ich.
»Es hat dir ja auch nicht weh getan, als du es getrieben hast«, sagte die Schwester barsch, die ich unwillkürlich beim Zappeln aufs Kinn getreten hatte, woraufhin sie mich ein paar Mal hintereinander auf den Oberschenkel haute. Hätte ich von Zärtlichkeiten gelebt – nach dieser Erfahrung hätte es mich nicht mehr gegeben.
*
Als man sie mir endlich auf die Brust legte, spürte ich nichts als den Schlag ihres kleinen kämpferischen Herzens, das schnell und gleichmäßig pochte, genau wie nach dem ersten Atemzug. Gar nichts. Es hätte doch eine rührende, mächtige, wahrhaft erhellende Erfahrung sein sollen, die zärtlichen Nähe zweier nackter Säugetiere – das eine ein Junges, das immer hungrig war, das andere erwachsen mit der einzigen Aufgabe, diesem zu dienen. Stattdessen nur stumme Verzweiflung, eine Art widernatürliche Desorientierung, die mir noch nicht einmal erlaubte, darüber nachzudenken, was in diesem Moment, während mich die Schwester längst mit einem doppelten Faden zunähte, meine mütterliche Pflicht sein könnte. Ich war nutzlos wie diese zwei Brüste, aus denen die Milch einfach nicht zu tropfen beginnen wollte.
Was, was, schnitt ich mit der Stimme ihre warmen, ernsthaften Tränen ab, aus denen das Weinen, dicht und trüb wie eine Wolke, den Raum schneller füllte als das Bedürfnis nach Liebe; sch-sch-sch sage ich, mein Herz, bewahr dir die Kraft.
In der Tat, du bist als weibliches Wesen geboren.