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Aus dem Montenegrinischen von Elvira Veselinović

Lea war tatsächlich Löwin im Sternzeichen. Es war die Mutter, die ihr diesen Namen gegeben hatte, da sie mit merklicher Verspätung in die Gemeinschaft zweier harmonischer Krebse geraten war, somit Unruhe in das ersehnte Trio häuslichen Komforts gebracht und die Aufmerksamkeit parademäßig auf sich gelenkt hatte, wie jeder Löwe. Doch ihr Vater vergötterte sie. »Löwinnen sind da, um bewundert zu werden!« sagte der entzückte Vater und trug sie lächelnd in seinem Krebsnest. Für Lea hatte er immer Kraft, er wäre jeden Marathon für sie gelaufen. Er folgte ihr überall hin, sie war die Zierde seines Lebens, die Sonne seiner Tage. »Drama queen« war die Meinung der eher stillen Mutter. Fünf Tage älter als ihr Ehemann, rothaarig, mit einem wie Mondlicht glänzendem Teint, war sie das Epizentrum der häuslichen Gemütlichkeit. Rationaler und zurückhaltender als ihr Mann machte sie sanfte Einwände, kochte unentwegt und achtete darauf, dass er sich nicht übernahm, denn er hatte ein schwaches Herz. Als er starb, wurde sie erst recht zurückhaltend. Lea machte alberne Dinge und tat, was sie konnte, um den Panzer aus stiller Trauer zu durchbrechen, in den sich die Mutter vor der Welt zurückgezogen hatte wie vor einer großen Ungerechtigkeit. Lea tat dies aus Pflichtgefühl und eigenem Antrieb. Eine bessere Mutter als einen Krebs gab es nicht. Und war nicht jede Mutter die Beste?

So still, zärtlich und schön war sie, Lea, eine Mutter, mit dem steten Wunsch, sie auf die Sonnenseite des Lebens hinauszuführen. Umgeben von größtmöglicher Liebe und Fürsorge wuchs Lea heran, schön und einfach, und musste gehorsam sein. Sie lernte zuzuhören, scharfe Kanten zu glätten, mitfühlend zu beobachten. Dem Horoskop hatte sie früher nicht viel Bedeutung beigemessen, sie wusste darüber etwa so viel, wie sie in Gesprächen aufgeschnappt hatte. Sie selbst hatte Respekt vor der menschlichen Seele und den Gefühlen. Manche Leute wunderten sich direkt darüber, wie denn eine so liebe und sentimentale Person Löwe sein konnte, wenn man doch eher meinen würde, sie sei Krebs. Alle Menschen, um die sich ihr Leben entspann, waren Krebse. Diese Krebse stellten in der Tat fest, dass sie Löwin war, und merkten es von allen Tierkreiszeichen auch am sanftesten und taktvollsten an.

Bemerkt hatte es auch er, Krebs Nummer Eins. Ihr schien, dass dieser Ansturm emotionaler Vitalität von ihm auch ausgegangen war, jedenfalls war sie erst an seiner Seite von dieser konfusen Sentimentalität umgehauen worden. »Du bist Löwin«, machte er ihr Komplimente, als würde er sich von ihr verabschieden oder zumindest eine Distanz herstellen, inmitten einer gewöhnlichen Umarmung und des Komforts, in den er sie wie eine Königin platziert hatte. Alle im Betrieb waren begeistert davon, wie energisch, effizient, heiter und positiv sie war. Sie stieg von einer gewöhnlichen Arbeiterin zur Vertriebsmanagerin auf, in einer mittelgroßen, gut laufenden Firma, in der alles auf Vetternwirtschaft beruhte. Auch er war so ein Vetter, der Lagermanager. In seiner Umarmung fühlte sie sich gut eingelagert, geehrt von Aufmerksamkeit – belohnte sie den Glanz in seinen Augen mit naivem Lächeln. Und er, Krebs Nummer Eins, quiekte naiv wie ein kleines dickes Ferkel, wenn man es knufft. Er malte sich ein wunderbares Heim mit ihr aus, denn das war die Art von Sentimentalität, die ihn schwach machte. Immerhin war sie Löwin, alle Käufer und Verwandten glaubten ihr, sodass er sie tatsächlich umgarnte, so gut er konnte. Er war so häuslich, ein richtiger Familienmensch, sein Heim sollte ein Königspalast sein.

Ja, sie hatte das Horoskop studiert, als sie ihn kennenlernte, und alle Charakteristika sprachen für ihn: romantisch, hingebungsvoll in der Liebe, der Familie ergeben, ein treuer Freund. Die Beschreibung traf auf ihren Auserwählten tatsächlich zu, aber besonders auch auf sie selbst. Ihrem zufolge müsste sozusagen jeder normale Mensch Krebs sein. Jene schwierige Einstellung der Krebse, das Leben sei eine ewige Ungerechtigkeit, war für sie ein altes Lied und störte sie nicht. Ihr Krebs würde sie fest umarmen, sodass sie zufrieden und sicher schlafen konnte.

Sie hatte echt Glück, dass so ein guter Mann sich in sie verliebt hatte. Und er würde weinen, unter dem Druck der unerwarteten Liebe, wie sie nur ein edler und tapferer Löwe geben konnte. Echt, wirklich losflennen.

»Was ist denn«, fragte sie durch ein Lächeln voller Mitgefühl und zugeneigtem Verständnis, beim zweiten Mal musste sie schon reagieren.

»Ich bin kompliziert!«

»Aber wie denn?«

»Es gab da eine …«