Foto: Privatarchiv
Aus dem Montenegrinischen von
Elvira Veselinović
er schloss die schule ab
kehrte ins dorf zurück
die älteren schwiegen wenn er redete
für die jüngeren war sein satz die lektüre
die sie sich später gegenseitig nacherzählten
seine familie hatte über hundert schafe
mehrere dutzend kühe,
einen hof, den sie stets erweiterten
auf dem gutshof bauten sie wein an
den sie nur mit ausgesuchten reben kreuzten
die hacke hinterließ keine blasen
auf der haut seiner ersten frau
ihr schwarzes haar
fiel aus dem weißen tuch heraus
ihre stimme hinterließ risse im karst
mit ihr hatte er eine tochter
und drei kinder
sie starb bei der feldarbeit
während sie das vierte gebar
nun suchte er keine schönheit mehr
er heiratete zum zweiten mal
und erweiterte den weinberg
im hohen alter
war sein satz
nur noch ein wort
mit dem er das unkraut
des nachbarn jätete
bevor sie ihn ins krankenhaus brachten
sprach er seinen nachnamen aus
und betrachtete dabei den baum
unter dem er, auf beharren seiner zweiten frau,
die unverheiratete tochter begrub
und in ihr
ein kind
DER FINGERNAGEL STECKT NOCH IN DEINER LUFTRÖHRE
die in weinschorle ertränkte stimme
torkelt anderthalb jahrzehnte
durch die gehörgänge
jetzt bist du groß
nach wie vor
kommst du nicht an den riegel
der eisentür
aus der kehle ist eine hand gewachsen
du kannst einfach nicht akzeptieren
dass du dir keine berührung
ausgedacht hast
ANATOMIESTUNDE
sie kritzelten ihre namen über das mural
ihre tags konnten selbst banksy übermalen
und es wäre ihnen auch egal
wenn sie wüssten wer das ist
der lehrer sagt –
jedes sezieren der vernichtung
entwindet sich den gesetzen der anatomie
die idealisten halten immer noch die geburtszange
was weniger sinn hat
als der älteren tochter beizubringen
beim gehen nicht so zu schlurfen
der lehrer sagt –
deine hoffnung stirbt
vor ihrer dummheit
da du nicht glaubst, bitte sehr,
dann zeig dich
wie das abgenutzte motiv eines baums
der sich am felsrand festklammert
ein junge kann
durch druck auf die entsprechenden taste
einen tausendjährigen olivenbaum umwerfen
ich hebe die hand und sage –
darin ist alle vergeblichkeit
dessen was wir tun