Eine Geschichte darüber, dass Schriftstellerinnen in der Regel keine Literaturpreise gewinnen, beginnt meist mit Zahlen. Zeigen die Zahlen also das bestehende Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern auf, ist dies als unwiderlegbares Argument für eine Aussage zu nehmen, die den meisten intuitiv klar ist: Im literarischen Bereich sind einige gleicher als andere, andere wiederum weniger gleich.
Im Gegensatz zum Monitoring der Berichterstattung über Schriftstellerinnen oder zur feministischen Forschung zum Schulkanon, die jeweils komplexere Analysemethoden erfordern, reicht es bei Literaturpreisen schon aus, durchzuzählen, wie oft der Preis an einen Autor ging und wie oft an eine Autorin. Somit wurde der Nobelpreis für Literatur in einer Tradition, die mehr als ein Jahrhundert umfasst, lediglich an 16 Schriftstellerinnen verliehen, das sind 13,7 Prozent der insgesamt 117 Preisträger. Einer der renommiertesten Preise im englischsprachigen Raum, der Man Booker Prize, wurde seit dem Jahr 1969 32 Mal an Männer und 18 Mal an Frauen verliehen, was prozentual etwa dreißig Prozent entspricht. Erst im vergangenen Jahr wurde Bernardine Evaristo als erste Frau aus der BIPOC-Community damit ausgezeichnet.
Statistische Daten zur Westbalkan-Region wurden beim letztjährigen Vox Feminae-Festival von Literaturkritikerinnen aus mehreren Ländern des ehemaligen Jugoslawien vorgestellt.
So lieferte die Kritikerin Dara Šljukić von der Gruppe Pobunjene čitateljke [Aufständische Leserinnen] folgende Informationen über die in Serbien verliehenen Auszeichnungen:
Name des Preises | Werk eines Autors | Werk einer Autorin |
NIN – für den besten Roman des Jahres | 62 | 5 |
Andrić-Preis | 35 | 7 |
Vital-Preis | 23 | 2 |
Meša Selimović (wird von der Zeitung Večernje novosti verliehen) | 35 | 2 |
Biljana Jovanović | 9 | 6 |
In Kroatien beispielsweise wurde der tportal-Preis für den besten Roman des Jahres bisher an Bücher von zehn Autoren und drei Autorinnen verliehen. Auch bei Preisen, die erst vor Kurzem ins Leben gerufen wurden, ist es nicht besser, beispielsweise beim Fric-Preis für das beste belletristische Buch Kroatiens, das von der Wochenzeitung Express verliehen wird: Alle vier bisher verliehenen Preise gingen an Schriftsteller. Den Janko-Polić-Kamov-Preis, der für das beste literarische Werk in kroatischer Sprache verliehen wird, erhielt bisher nur eine Autorin – demgegenüber fünf männliche Autoren. Nicht nur beim Roman, sondern auch in der Lyrik bleibt die Lücke gleich, wie die Daten zum Goranov-vijenac-Preis zeigen: Er wurde insgesamt 49 Mal verliehen, wobei Dichterinnen den Preis nur neun Mal erhielten.
Ein etwas besseres Verhältnis zeigt sich beim Fran-Galović-Preis, der für das beste Buch in Heimatliteratur ausgelobt wird und insgesamt 24 Mal verliehen wurde, ein Drittel davon, also acht, ging an Schriftstellerinnen. Ähnlich verhält es sich mit dem Ksaver-Šandor-Gjalski-Preis, der vom kroatischen Schriftstellerverband für das beste veröffentlichte Prosawerk verliehen wird: Von insgesamt siebenunddreißig (mit Ausnahme des Jahres 1983, als kein erster Platz vergeben wurde, aber zwei Autoren den zweiten und dritten Platz machten), waren Frauen achtmal Preisträgerinnen, Männer hingegen 29-mal. Im Durchschnitt sind Frauen also in weniger als einem Zehntel oder allenfalls in bis zu einem Drittel der Fälle die Laureatinnen. Natürlich ist dieser Überblick nicht vollständig, da es auch eine Hyperproduktion von Literaturpreisen gibt, aber aufschlussreich ist er allemal. Als besonders interessantes Beispiel ragt der Verlag V.B.Z. heraus, mit seiner Auszeichnung für den besten unveröffentlichten Roman, für den Manuskripte anonym unter einem Code eingehen, und bei dem Parität erreicht wurde: Von den bisherigen 18 Gewinnern sind acht, also fast die Hälfte, Autorinnen.
Ein Negativtrend ist auch bei einflussreichen regionalen Preisen zu erkennen, wie dem Meša-Selimović-Preis für den besten Roman in Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Serbien und Montenegro. Bis 2020 wurden 20 von Männern geschriebene Werke zum Roman des Jahres gekürt, jedoch nur drei von Frauen. Beim Preis Mirko Kovač ist die Geschlechterkluft von Genre zu Genre unterschiedlich – bei Drama und Essay ist sie etwas schmaler. In der Kategorie für das beste Werk eines jungen Autors haben ihn zwei Autoren für Romane bekommen, eine Autorin für Drehbuch und eine für Roman bis 2019/20, doch in der Kategorie Roman keine einzige Frau. Handelt es sich also um den Roman als Prestige-Genre, ist von sieben Preisträgern nur eines eine Frau.
Die Daten über die Preisträger stimmen mit den Daten über das überwiegend männliche Geschlecht der Autoren überein, deren Werke in die engere oder engste Auswahl gelangen (in Fällen, in denen diese veröffentlicht werden, im Gegensatz zum völlig intransparenten Verfahren des Nobelkomitees). Zwei der jüngsten eklatanten Beispiele dafür sind die Shortlists für den Fric-Preis und die engste Auswahl für den NIN-Preis, zu denen dieses Jahr kein einziges Buch einer Autorin aufgenommen wurde. Obwohl Frauen in den Vorjahren in den Shortlists vertreten waren und es im Falle des NIN-Preises, der eine längere Tradition hat, gelegentlich (wenn auch als Ausnahme) weibliche Preisträgerinnen gab, zeigen die oben genannten Daten deutlich, dass keine dieser beiden Auszeichnungen auch nur annähernd geschlechtergerecht ist. Ähnlich verhält es sich, wie wir zu zeigen versucht haben, mit den meisten anderen Auszeichnungen in den verschiedensten literarischen Genres – mit ein paar wenigen leuchtenden Ausnahmen.
Die Zahlen zeigen eindeutig, dass ein Problem besteht, geben aber für sich allein betrachtet keine Antworten; sie sind nur eine Warnung, die Spitze des Eisbergs. Was ist die Ursache dafür? Oder genauer gesagt: Welche möglichen Gründe führen zu dieser so offensichtlichen Folge, dass die Literatur von Frauen nicht ebenso ausgezeichnet und gewürdigt wird wie das Schaffen von Männern?
Unter der Spitze des Eisbergs
Die feministische Literaturtheorie analysiert in ihren verschiedenen Phasen bereits seit etwa hundert Jahren die zahlreichen und komplex miteinander verbundenen Aspekte der Ungleichbehandlung von weiblichem Schaffen in der Literatur. Einige der Hauptursachen dieser Art von Ungleichgewicht hängen mit der gesellschaftlichen Nichtgleichberechtigung von Frauen zusammen – sie sind wirtschaftlich abhängiger, durch unbezahlte Hausarbeit doppelt belastet und ungleich häufiger Opfer jeglicher Art von Gewalt im Vergleich zu (was besonders hervorsticht) cis weißen Männern aus höheren Schichten, aus kapitalistischen Machtzentren. In diesem Kontext werden Frauen verschiedener Identitäten, besonders die mehrfach marginalisierten, entmutigt –und zwar systematisch und kontinuierlich – die Tradition weiblicher Solidarität zu erforschen, ihnen wird der Zugang zu Bildung erschwert und ihren Erfahrungen weniger Bedeutung beigemessen.
All dies wird durch Literatur auch vermittelt und fortgeführt – durch alle Ebenen der Bildung, durch Verlagswesen und Werbung und schließlich durch die Auszeichnungs- und Bewertungssysteme, wobei Poetiken, die sich auf die Erfahrungen von Männern konzentrieren, dominant sind. Die im 20. Jahrhundert und in unserer Region extrem ausgeprägte Kreativität der Frau, zu der es mittlerweile zahlreiche, oft auch per Mausklick abrufbare Studien gibt, wie etwa Knjiženstvo (sie reicht noch weiter in die Vergangenheit), ist eine völlig unbekannte Größe. Schriftstellerinnen werden in den Lehrplänen der Schulen nicht unterrichtet, ihre Poetik ist den Literaturjurys unbekannt, denn sie als einzige und höchste Geschmacksinstanz erkennen die Linie an, die von Andrić, Selimović und Krleža zu zeitgenössischen Schriftstellern führt, die über Krieg und die Nachkriegszeit aus männlicher Sicht. Die logische Konsequenz daraus ist, dass Autorinnen keine Auszeichnungen erhalten, selbst wenn sie wie in den Vorjahren höhere Auflagen und ein größeres Publikum erreichen.
Daher ist die grundsätzliche Nichtauszeichnung von Frauen mit ganz seltenen Ausnahmen eine Folge der bereits bestehenden ungleichen Machtverhältnisse im literarischen Bereich, die einerseits die Grundlage für selbstbewusste Ignoranz männlicher Kollegen bildet und auf der anderen Seite das systematische gaslighting der Erfahrungen von Frauen sowie die implizite oder explizite (je nachdem, ob sie von einem eher liberalen oder konservativen Teil der Literaturszene vorangetrieben wird) Herabwürdigung der sehr vielfältigen Poetik weiblicher Schriftstellerinnen.
Aus diesem Grund zählen wir Jahr für Jahr, wer Literaturpreise (nicht) gewonnen hat, über wen (weniger) in den Medien geschrieben wird, wer (nicht) in Programmen spricht, wer (keine) Angebote erhält Kolumnen für verschiedene Medien zu schreiben, also genaugenommen wer im Hintergrund arbeitet, wer Kunst produziert, organisiert, moderiert, übersetzt oder katalogisiert.
Daher gibt es auf jeden Einwand und jedes Argument, selbst wenn es buchstäblich auf statistischen Daten beruht, immer eine (Quasi-)Antwort von denjenigen, die das Privileg und die Verantwortung haben, literarische Produktion zu bewerten. Nachfolgend finden Sie einige der häufigsten Ausreden, gefolgt von Vorschlägen, was anstelle von Ausreden konkret getan werden könnte, damit die Literaturszene keine Bastion der Geschlechterkluft bleibt, sondern aktiv zur weiteren Emanzipation der Frauen und damit zur Kultur insgesamt und letztendlich der gesamten Gesellschaft beiträgt.
1. Frauen veröffentlichen nicht so viel wie Männer, und Literatur ist keine Volkszählung. Autorinnen produzieren einfach weniger.
Da sie also weniger aus eigenem Antrieb schreiben (vielleicht sind sie auch weniger fleißig als ihre männlichen Kollegen?), hat die Jury lediglich die Möglichkeit, auf die bestehende Situation zu reagieren, kann aber nicht eingreifen. Wenn sie einfach nur schreiben würden, würde die Jury sie gerne für ihre Mühe belohnen.
Doch warum erfüllen die Bücher weiblicher Autorinnen, selbst wenn sie es in die engere Auswahl schaffen, meist nicht die höchsten Standards? Und was ist die Begründung dafür, dass so viele hervorragende literarische Werke von Autorinnen sowohl in der Vergangenheit als auch heute nicht die Wertschätzung erfahren, die sie verdienen (z. B. Daša Drndić)?
2. In den Jurys sitzen auch Frauen, und es kann gar nicht sein, dass diese für die Erfahrung von Frauen nicht sensibilisiert sind, dennoch geben sie ihre Stimme den männlichen Autoren.
Zuerst sei gesagt, dass Frauen meist nicht gleichmäßig in den Jurys vertreten sind, sondern gewissermaßen nach Quote hinzugefügt werden. Beispielsweise war beim NIN-Preis von fünf Jurymitgliedern meist entweder eine oder gar keine Frau. Lediglich in einem kurzen Zeitraum (2015 – 2018) nahmen zwei Frauen an der Juryarbeit teil, in dem Fall aber erneut in der Minderheit.
Des Weiteren gehören nicht alle Frauen derselben poetischen Strömung an. Nur weil sie Frauen sind, heißt das nicht automatisch, dass sie die feministischen Ansätze in der Literatur kennen, noch dass sie wegen eines Aspekts ihrer Identität zwangsläufig die derzeit marginalisierten Poetiken kennen müssen. Ähnlich wie ihre männlichen Kollegen haben sie dasselbe Bildungssystem durchlaufen, sie bewegen sich im selben männerdominierten Literaturbetrieb.
Und schließlich besteht die Jury aus Männern, und je größer das Privileg, desto höher die Verantwortung. In dem Zusammenhang ist es nicht nur die Verantwortung von Frauen, für Geschlechtergleichberechtigung zu kämpfen, sondern eines jeden Mitglieds der Gesellschaft und somit auch aller Kulturschaffenden.
3. Im Zusammenhang damit möchten auch viele Autorinnen »gleichbehandelt werden wie ihre männlichen Kollegen, ungeachtet des Geschlechts«.
Wenn bisher die Auswahl geschlechtsneutral war, wie kann es dann eine solche Kluft geben, wie durch die Daten eindeutig belegt, dass Männer zu über 80 % vertreten sind. Gerade der feministische Anspruch gründet ja auf der Idee, die nötigen Voraussetzungen zu schaffen, dass Schriftstellerinnen gleichbehandelt werden, denn bisher waren sie das nicht.
4. Themen, die Frauen behandeln, sind meist persönlich, nicht universell, die Jury interessiert sich jedoch nur für Text.
So etwas wie »nur Text« gibt es nicht, denn weder entsteht er im Vakuum noch können diejenigen, die ihn bewerten »neutral« sein. Ein Teil ihrer Arbeit ist es, ständig die Verhältnisse der Szene kritisch zu hinterfragen. Dass männliche Erfahrungen ermutigt wurden, Gegenstand der Darstellung zu sein, heißt nicht, dass sie die einzigen sind, geschweige denn universell. In den Poetiken der Gegenwart ist es klar, dass Polyphonie die Möglichkeit einer vollständigeren und gerechteren Darstellung der Welt ermöglicht.
Was ist konkret zu tun?
1. Wir müssen endlich dazu übergehen, Schriftstellerinnen die Preise auch wirklich zu verleihen und sie nicht nur gelegentlich in die engere Auswahl aufzunehmen.
2. Auszeichnungen sollten nicht mehr fast ausschließlich nach den Namen und Spitznamen männlicher Autoren benannt werden.
3. Wir müssen uns mehr mit der Arbeit von Frauen aus früheren Epochen vertraut machen, da uns im Bildungskanon eine überraschend große Menge wertvollen literarischen Materials aus diesem Korpus vorenthalten bleibt.
4. Fördern Sie das zeitgenössische literarische Schaffen von Frauen – indem Sie regelmäßig die von ihnen veröffentlichten Bücher lesen, interpretierende Texte über sie schreiben und sie zu Festivals und Literaturprogrammen einladen. In diesem Prozess haben alle Beteiligten im Literaturbetrieb – von den Verlagen über die Kritik bis zur Rezeption – die Möglichkeit, auf Reformen im gesamten Feld hinzuwirken, die sich wiederum positiv auf die Preisverleihungspraxis auswirken.
5. In allen Bereichen ist Parität anzustreben. Quoten sind kein Selbstzweck, sondern lediglich ein Indikator bereits bestehender Ungleichheit. Die Hälfte der Menschheit besteht aus Frauen, daher ist eine weibliche Beteiligung von 0 bis – in den seltensten Fällen – 30 % keine Parität. Solange der Bedarf nach Zahlen besteht, ist keine Gleichheit hergestellt.
6. Wenn Sie Jury-Mitglied sind, sollten Sie bei der Bewertung von Büchern und der Erstellung von Shortlists die Vielfalt der Produktion berücksichtigen, und nicht nur das Genre. Dominiert in der Auswahl eine ausschließlich männliche Perspektive bevorzugende Poetik? Spiegelt Ihre Auswahl wirklich die gesamte Breite der aktuellen literarischen Produktion und der menschlichen Erfahrung im Allgemeinen wider?
7. Wenn Sie als Autor feststellen, dass Ihre Kolleginnen nicht gleichberechtigt behandelt werden, lehnen Sie den Preis ab und/oder beteiligen Sie sich gemeinsam mit Ihren Kolleginnen an einem Boykott des Preises.
8. Alle männlichen Autoren für mindestens drei Jahre aus allen Bewerbungen für Literaturpreise ausschließen, oder im besten Fall als Minderheit in der breiteren oder eventuell engeren Auswahl zulassen. Das literarische Schaffen von Frauen war jahrzehntelang de facto ausgeschlossen; ein Kurswechsel ist nötig, um es in den Fokus zu stellen. Diese Forderung ist nicht in dem Maße radikal, wie sie scheint. Gegenüber Jahrzehnten der Ungleichheit sind drei Jahre fast eine symbolische Geste, die potenziell helfen könnte, das Schaffen von Autorinnen endlich vorurteilsfrei zu behandeln.
9. Angestrebt werden muss eine gründliche Rekonzeptualisierung bisheriger Praktiken der Preisvergabe, da diese die Literatur auf einen Wettbewerb reduzieren und ausschließlich kommerziellen Aktivitäten dienen, ja oft sogar im direkten Interessenskonflikt verliehen werden. Eher sollte man über Verfahren der kollektiven Interpretation und kritischer Bewertung literarischer Texte nachdenken, und zwar nicht nur einmal jährlich, sondern kontinuierlich. Notwendigerweise muss dafür gesorgt werden, dass Frauen aus verschiedenen Berufen im Literaturbetrieb sowie auch Leserinnen an solchen Aktivitäten beteiligt werden müssen.
10. In Gesprächen über Literatur, bei verlagspolitischen Konzeptionen sowie Vermarktungsaktivitäten und schließlich bei den Texten selbst sollten zeitgenössische literaturtheoretische Ansätze die Leitlinie sein: feministische, antikoloniale, queere, ökologische und engagierte. Also jene Ideen, die auf der Hinterfragung von Hierarchien fußen und nicht etwa auf deren Aufrechterhaltung.