Am leichtesten weint es sich
am Steuer
Allein
in der Werbepause,
während der Moderator ‘einen fahren lässt’ mit dem Finger auf der Räuspertaste.
Was da später läuft, ist keine Musik,
was ich heute lebe, ist kein Leben.
Ich hab zwei Repliken hinzugefügt,
ein paar Regieanweisungen gelöscht
(wen kümmert’s ob unterm Tresen
Katzen oder Schildkröten leben),
hab sogar die unwichtigsten Figuren überhört
während ich warte, dass sie von alleine sterben
denn ich kann ihnen nichts tun.
Denn ich wünsche ihnen nichts.
Das war es von mir.
Meine Texte werden stets von anderen unterzeichnet.
Ich bin auch keine Hauptperson,
nur ein Improvisator
mit blutigen Augen
in einem Auto, das jeden Moment anhalten kann
wegen Flüssigkeitsmangel.
Koautorin, sozusagen.
UNTER IHREM HAAR
Für Mahsa Amini
Unter ihrem Haar ist Ewigkeit
in schamhafter Berührung gezeugt
Ein Traum der sich vor Reichweite fürchtet
Und ein Wort das sich vermehrt bis es zum Roman wird
Unter ihrem Haar ist die Idee
Der sie einst Flügel verleihen wird
Im Namen geborener und ungeborener Frauen und all ihrer Töchter
Unter ihrem Haar ist Macht
Die Welt bis auf Schulterhöhe zu heben
Sich nicht wegen fremder Primärinstinkte zu bücken
Unter ihrem Haar ist Trotz und Feuer
Sturheit und Kraft
Die beneidenswerte Überlegenheit der Natur
Unter ihrem Haar sind auch
sechs Kugeln, abgefeuert von der hilflosen Hand
Des Patriarchats
Der Eifersucht
Der Rückständigkeit
STÄDTE STERBEN LANGSAM
Als erstes hat das ohrenbetäubende Lied
die Luft vergiftet.
Wenn du in eine Höhle hinabsteigen musst
um Kaffee zu trinken
ist das nicht mehr deine Stadt.
Dann sprachen die in ihrer Überheblichkeit leeren Menschen
leer wie zertretene Bierdosen.
Abglanz im Dunkeln,
denn Dummheit leuchtet,
blendet,
bis endlich schweigen, die nichts zu sagen haben.
Ich luge durch verglaste Vorhänge
frage mich, warum Frauen Verkehr Beziehung nennen
und ihr Geschlechtsteil »untenrum«.
Aus einem teuren Porsche dröhnt
„Fazlagića gori kula“
und die Erde unter meinem Körperfett
ist hart
wie das Schwert des jungen Roko Žabar,
des berühmtesten Underground Italieners.
Man sollte ohne Gepäck abreisen.
Ich bin bereit,
doch ich trete auf der Stelle wie ein totes Huhn,
Eierschale,
Fremdwörterbuch.
EINSPARUNG POETISCHER FIGUREN IM BRIEF AN HARALAMPIJE
Eigentlich ist es nicht schwer.
Du setzt dich in ein anderes Genus, oder auch Numerus,
niemand zählt deine Arme, Beine und die Stücke zerbrochener Träume mit Sahne.
Ohne Cocktailkirsche.
Vermeide Schimpfwörter am Anfang von Versen.
Am Ende gern, so viel du willst.
Die Leute fluchen, wir können nicht mehr so tun, als sei das Kneipensprache
oder beim Kutscher, wenn er zum dritten Mal am selben Brunnen vorbeifährt.
Steigere nicht zu viel,
vermeide Drama in der Form.
Es ist egal, wie etwas erschaffen wird,
wichtig ist das Endprodukt:
eine Lage Seufzer, schmerzhaft, rätselhaft, laut, aber nicht zu laut,
und eine Lage Atemzüge, die nur die Vorbereitung auf neue Seufzer sind.
Keine Erleichterung, das ist doch kein Speck und kein amerikanisches Melodram,
da wird ein Gedicht geboren, dass du jemandem statt Trauer unterjubelst.
Solltest du Namen erwähnen wollen, zähl sie nicht auf.
Nimm den Kirchenkalender, blättere, such dir einen erhabenen und bekannten.
Der Name wird jedenfalls die Würde deines Niedergangs nicht verderben, noch nicht mal einer von der Straße.
Das erhabene Gejammer reicht bis zum Volk, das sich selbst drei Minuten nach dem Fernsehen gelassen hat
um mit etwas zu Bett zu gehen, dass es nicht endgültig versteht.
Schreib nicht über Tee, Eifersucht, Betrug, Geschlechtsverkehr, Liebe, Ungerechtigkeit,
darüber haben alle geschrieben.
Besser du beschränkst dich auf einen Häkelkurs
als dass sie mit Fingern auf dich zeigen und sagen, das hätten sie alles schon einmal gehört.
Und diesen blöden Affen, auf den diese Systematisierung des poetischen Prozesses zurückgeht
überlass ihn einfach den Umständen, die nicht aus sind, aber doch vorbei.
Verflucht soll er sein, der Idiot,
der barfuß über die Fliesen dieser Irrenanstalt geht,
damit ich ihn weder kommen noch gehen höre.
Haralampije, Lieber, wenn du irgendwo auf halbem Weg zwischen Gebet und Dusche vor dem Schlafengehen bist,
wisse,
dieses Gedicht ist für dich.
ZU FUSS
Vjera ist wieder den Bahndamm entlang,
im Glauben, diesmal zu wissen, wohin.
An der Obergrenze des Windes,
wo Durchzug Nebel wird, und Weinen irritierendes Rauschen,
nur kurz über ihrem Kopf,
wurden Entscheidungen stärker, bewusster und möglicher.
Vjera hat aufgegeben.
Ihr Geben war längst zur Pflicht geworden,
sie schenkte den Tag, indem sie sich eine Stunde stahl,
auf dem Rücken trug sie das Klavier der vergangenen Zeit,
und jede Komposition erinnerte sie, doch es gab keine
Nacht wegen der sie die Hände
um seinen Hals geschlungen hätte.
Im Stechschritt marschierte Vjera,
zählte für sich die Schritte.
Alle Ungeraden waren stumm vor Atemlosigkeit,
die Geraden wie das Träufeln des letzten Willens.
Von Schwelle zu Schwelle war es weit.
Von Wunsch zu Wille immer einen Meter weiter.
Vjera machte sich selbst Mut,
Einsamkeit sei mehr als die halbe Gesundheit.
Sie hob die Hand zum Gruß
obwohl sie niemanden traf am Bahndamm,
nur ihren eigenen Schatten,
zertreten, zerfressen,
lang geworden von unterdrückten Verwünschungen,
verflucht von aufgestauter Qual und Schweigen.
Vjera ist wieder den Bahndamm entlang
zu Fuß.
Allein.
Es war Nacht, die Hunde bellten immer lauter und blutrünstiger.
Es wurde kalt,
und das Hungergefühl überwältigte jeden Trotz.
Sie setzte sich auf die nassen Steine und drehte sich um.
»Vielleicht wacht er auf und bemerkt, dass ich weg bin«,
dachte sie.
»Vielleicht kommt er mich holen und bringt mich heim«,
dachte sie.
»Ich könnte schwören, dass er geatmet hat, als ich raus bin«,
dachte sie.
STUMM
Wenn er mir sagt, ich solle schweigen
wecke ich das schlafende Tier
aller versiegelten Schreie in mir.
Schließe die Ohren für Blicke,
Schließe die Augen für Echos,
und schärfe meine Weisheitszähne mit der Macht
der abgelagerten angefaulten Ungerechtigkeiten
zugunsten anderer Kleinigkeiten,
Berührungen, die uns an die Wände malten
in unserem kleinen eisenbeschlagenen Zimmer
ohne Fenster,
als ich nicht schweigen musste
damit er sich von innen hört.
Wenn er mir sagt, ich solle schweigen,
schweige ich am lautesten.